Lukas Salzmann
*1960 in Düsseldorf, lebt in Zürich
Obwohl Lukas Salzmann sich als Maler versteht, scheint seine Arbeit in der Darstellenden Kunst verhaftet zu sein. Denn er führt Regie, verantwortet die Dramaturgie, gestaltet das Bühnenbild, inszeniert das Licht und lenkt die Zuschauer:innen durch das Stück. Als Ausgangslage für seine Inszenierungen dienen ihm bildnerische Vorlagen aus Magazinen, Filmstills oder eigene Fotografi en. Diese nutzt er als Bühnen, seine Malbühnen, die er mit Ölfarbe mal grosszügig pastos, mal mit feinem, präzisem Pinselstrich für sein Spiel neu interpretiert: Ausschnitte verschwinden, Details kommen hinzu, die Lichtführung ist eingepegelt, Figuren sind neu in Szene gesetzt. Durch die Materialität und den Vorgang des Malens transformiert der Künstler das bestehende Bild. Dieser Prozess ist nicht als ein Übermalen im herkömmlichen Sinn zu verstehen. Er ist vielmehr eine Metamorphose, die die Suche nach der bildnerischen Klarheit und Kraft, um die es dem Künstler geht, sichtbar macht.Gelegentlich führt der Weg der Erkenntnis hinters Licht oder hinter die Projektionsfl äche. Wie in Salzmanns Bild «Love in Times of …»: Ein Mann und eine Frau, eng ineinander verschlungen, füllen durch die Körper und Armbewegungen den gesamten Bildraum aus. Es scheint, als würden sie, dem Rhythmus der Musik folgend, miteinander tanzen. Doch die Musik, die wir hören, generiert sich aus einer Annahme, die wir als existent wahrnehmen. Dabei ist sie lediglich eine Erinnerung, die durch das Bild evoziert wird. Werden wir uns dessen bewusst, beschleicht uns das mulmige Gefühl der Scham, dass es sich bei dem Paar keinesfalls um eine «Darbietung» handeln muss – und wir werden als Voyeur:innen entlarvt. Lukas Salzmann «spielt» mit dieser Doppeldeutigkeit, mit diesem widerstreitenden Gefühl zwischen neugierigem Hinschauen und einem peinlich berührten Wegsehen. Mit dem Werk «Visitors» führt der Künstler ein weiteres Doppelspiel mit uns, das des Sehens. Wir folgen dem Blick der dargestellten Figur im Vordergrund, die möglicherweise die männliche Rückenfi gur betrachtet, die, wie es scheint, wiederum ein Werk – dessen Inhalt uns verwehrt bleibt – rezipiert. Sehen wir uns selber beim Sehen zu, oder werden wir in diesem Moment gar von hinten beobachtet? Und wieder setzt die Musik im Kopf ein. Diesmal ein Lied von Mani Matter, der «Bim Coiffeur» singt: «Und dert drin spieglet sech dr Spiegel da vor mir. Und i däm Spiegel widerum dr Spiegel hindefür.» Ohne darüber nachzudenken, stellen wir uns bei einem Bild vor – sei es eine Fotografi e, ein Filmframe oder ein Gemälde –, es handle sich um festgehaltene Realität. Doch im Moment der Entstehung ist die Realität bereits eine andere. Was also hinter dem Bild liegt, ist unbekannt – und ist vor allem schon Vergangenheit. Das Abbild ist immer nur die Interpretation eines Bildes, das wiederum einer individuellen Betrachtungsweise unterliegt – ein (Schau-) Spiel ohne Aufl ösung. Und erneut sitzen wir im Coiffeurstuhl.
Diese Kunst ist verführerisch. Sie lockt die Betrachtenden in die Bilder wie in Fallen. Sie lockt mit Schönheit, mit Begehrenswertem, mit dem Ziel aller Träume – und kaum hat man sich diesen Idyllen hingegeben, dräut eine Ahnung. Dass sich irgendwo Unheil verbergen könnte. Die wunderbare Veranda eines amerikanischen Landhauses, auf der sich genüsslich ein abendliches Bier trinken liesse, ist umgeben von Tausenden von Krebsen, die alles und jeden knacken. Und um den schönen Porträtkopf finden sich Käfer. Die coolen Interieurs aus Wohnkatalogen erinnern an James-Bond-Filme – vielleicht warten hinter der polierten Oberflächen Waffenarsenale nur darauf, zum Einsatz zu kommen. Salzmanns Welt ist eine brüchige, zweischneidige. Es ist auch die unsrige. Nur wollen wir das lieber nicht wahrhaben. Lieber würden wir uns vollends sicher, total aufgehoben fühlen, in einer warmen Umgebung, in der uns nichts zustossen kann. Manchmal malt Salzmann tatsächlich Bilder, denen dieser Bruch fehlt. Das grosse Bild eines Bergbachs im Wald zum Beispiel. Oder das Bild der zwei tanzenden Frauen in ihren faszinierend gemusterten Kleidern. Sie ziehen uns unwiderstehlich an, weil sie archetypische Wunschträume berühren. Wir vergessen uns in ihnen - sind bei diesen drei weissgewandeten Kindern, die in einer Ruine ihren Weg gehen. Sie wissen genau, wohin. Sie haben ein klares Ziel. Es sieht fast aus wie ein Ritual. Ist es das, was wir uns wünschen? Diese Klarheit? Dieses Ziel? Diese uneingeschränkte Fokussiertheit von Kindern? Aber dann wird uns wieder bewusst, dass es Bilder von Lukas Salzmann sind. Und im Kontext dessen, was wir von ihm kennen, dämmern plötzlich Zweifel herauf, ob wir dieser Schönheit, diesem Frieden trauen können. Als ob uns dieser Künstler mit eben gerade diesen Bildern sagen wollte: Glück ist ein seltenes Gut. Meist wird es belauert von Unglück. Wenn es mal da ist, das Glück, sollten wir es aufsaugen und mit allen Sinnen geniessen. (Simon Maurer, Kurator Helmhaus Zürich)
In den tollen grosszügigen Räumen des Zeughauses Uster ist dank einer offenen Zusammenarbeit aller beteiligten Künstler*innen eine interessante Ausstellung mit ausgewählten Positionen zur gegenständlichen Malerei entstanden. In einer Zeit, in der jede*r Künstler*in die eigenen Ziele verfolgt, ist dieses Experiment ausserordentlich, und es hat mich beeindruckt. Lukas Salzmann, Juli 2020
lukassalzmann.ch